[divalent gestrebt, unendlich)

Und wo es sonst so hinführt.

»Ach, was ich weiß, kann jeder wissen - mein Herz habe ich allein.« - Die Leiden des jungen Werther - Am 9. Mai 1772

Impression. Impression. Impression.

der hafen

manchmal wünschte ich, meine worte könnten dir ein bild malen.
erst ganz wüst mit einem bleistift oder einem stück kohle angedeutet, schemenhaft und fast ungreifbar, würde es dich schicht für schicht verführen, mit immer mehr details, immer mehr zuneigung, immer mehr formen, spitzen, tiefen. immer mehr struktur und immer andere.
mit einem spachtel voll rötlichgelb den kühlen himmel erkannt, spontan in den vordergrund versunken und in dich. noch etwas feucht würde immer wieder ein stück vom untergrund mitgerissen in eine neue schicht, in eine neue bedeutung. für eine nuance, die am ende vielleicht nur du sehen wirst, weil sie doch nur für dich gemacht ist. vielleicht ist das liebe.
ich wollte, du würdest dich nach und nach in diesem bild verlieren, nicht weil es sonderlich schön ist, also eine art mainstream-produkt, das sich jeder gern über die couch hängt um es dann nie wieder anzuschauen; sondern weil du die schönheit erkennst. weil es dich nicht erfüllt, einfach nur zu schauen, sondern weil du berühren willst, um all die schichten, die details, formen und tiefen zu erfassen.

mit jeder berührung, mit jedem entlanggleiten an den furchen, den kleinen gräben, tälern und bergen würdest du dann ein stück von dir lassen, von dir und deinem tag und deiner nacht. im winter würden deine schmalen hände vielleicht rau sein, abgekämpft vom tagsoll und spröde von den temperaturen. im frühling sähen dein schwung und deine zärtlichkeit bestimmt anders aus.
und doch würdest du mit jeder berührung eine kleine facette von dir zeichnen, von dir und deinem gefühl. schicht für schicht mit unsichtbaren worten der sehnsucht beschrieben, stünde es da und wäre der heimliche beweis unserer sinnlichen fusion.

das bild, es würde heute wohl einen fischerhafen mit alten holzkuttern zeigen, die ruhig auf den wellen wiegen. eingetaucht in den goldenen kuss des horizontes vermag es die gleiche frage stellen, die vermutlich allen hafenbildern dergestalt anhaftet:

sind wir zurück, oder fahren wir jetzt los?

sternschnuppen

sag mir
wohin der stern
den traum bringt

die hoffnung und den wunsch
durch lippen so zart
mit sehnsucht geschnürt

sag mir
wohin der stern
den traum bringt

wenn er doch
verglüht.

vom 9. Januar 2013

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einmal noch

einmal noch
werd ich dich
erheben;
an der hand
ein wesen läuft

trippelt still
über die
reben;
heult der wind
der seele sträubt

ein letzter kuss
soll dir
gegeben;
fällt eine träne
schluchten feucht

nun flieh fort
auf deinen
wegen;
wo blick zurück
der sünde gleicht

vom 1. Januar 2013

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tausend sterne für zwei sekunden

ich stehe da vor dem gewitter, das so schaurig bunt den himmel erleuchtet und erwarte deine hand auf meinem becken und deinen körper hinter meinem, mich zu stützen, dass ich rückwegs nicht einfach umfalle vor diesem grellen kompositum an farben und licht, das so gar nicht in unsere nacht passt. ich freue mich auf den hauch deines atems an meinem hals, der seine wellen über und unter das schlüsselbein schlägt und dort eindringt und mein herz aufpumpt bis zur ewigkeit.

das grollen wird bedrohlicher und das pfeifen, die lichter multiplizieren sich, die farbgirlanden und glitzerglitterbögen, die tausend sterne für zwei sekunden; – und mit ihnen der grau-weiß-blaue schleier der künstlichkeit, der alles einhüllt und das klar der luft belegt.
ich stehe jetzt da in dem gewitter, das so nah ist, dass es auch direkt aus mir kommen könnte; jedes haar als zündschnur eines gedankens, der sich kurz im bunt entfaltet und dann für immer verglüht.

für immer, das hatten wir auch gesagt;
und dennoch bleibt der hauch jetzt aus.

normalnull

normalnull

vom 29. Dezember 2012

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die gitter

der zweite weihnachtsmorgen zweitausendzwölf. dunkle, tiefsitzende wolkenburgen spielen noch ein wenig mit dem goldenen gelb der aufgehenden sonne. es scheint warm zu sein, flüstere ich in die decke. betrunken von der nacht gehe ich im slalom durch die kleiderhaufen der letzten tage. in all ihnen hängen düfte von lebkuchen, von sinnen, von alkohol und rauch. in ihnen sind auch die buchstaben gestürzt, die sich irgendwann in dem kleinen zwischendirundmir verirrten und sich dann lieber einhingen als auf den boden zu fallen, wo sie eh nur festgetreten würden von dem nächsten vorbeistürmenden leben mit seinen ganz eigenen spuren und worten im wind.
ich reiße die balkontür auf und schmeiße den ganzen kram zwischen weinflaschen, naturjoghurt und ‘energietalern’, die vor lauter energie am liebsten schon selbst vom turm springen würden. natürlich, rollen meine augen den anbandelnden gutmenschenaber!-shitstorm zwischen meinen verkaterten hirnwänden ab. heute ist echt blöd. kannst du bitte morgen wiederkommen?
zurück in der wohnung schleiche ich mit nackten füßen über den boden und schieße einen korken richtung küche. mit einem eingeschnitzten herz, stelle ich lächelnd fest und werfe ihn in den müll.

erst im großen zimmer fällt mir die andersartigkeit auf, die boden, kommoden und tische an diesem morgen bedeckt. brecht und kafka, gil, goethe, bregy, strubel – als habe ich etwas gesucht, liegen sie hier und dort mit ihren ausgebreiteten buchrücken auf dem bauch und erinnern an kleine falken, die das fliegen lernen wollen.
nur benn liegt offen und bricht den raum in worttriefende spalten. manchmal tue ich das, bücher so liegen zu lassen; vielleicht in der irrlichten hoffnung, ihre zeichen könnten sich lösen und die wände vollschreiben und gleich hiernach die welt.

Die Gitter

Die Gitter sind verkettet,
ja mehr: die Mauer ist zu -:
du hast dich zwar gerettet,
doch wen rettetest du?

Drei Pappeln an einer Schleuse,
eine Möwe im Flug zum Meer,
das ist der Ebenen Weise,
da kamst du her,

dann streiftest du Haar und Häute,
alljährlich windend ab
und zehrtest von Trank und Beute,
die dir ein Anderer gab,

ein Anderer – schweige – bitter
fängt diese Weise an –
du rettetest dich in Gitter,

die nichts mehr öffnen kann.

/g.benn

mit flügeln erst

von nacht zu nacht
gehetzt
gesprungen
ich renne einfach weg
verloren

ist ein herz
ist fort,
ist einfach fort
mit flügeln erst und dann
mit allem was mir war

bleibe ich zurück
und friere
deine zarte melodie
in den raum
versunken stille.

vom 22. Dezember 2012

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