herbstfall
der herbst hat das jahr bald ganz aus den bäumen geworfen und so wirkt es fast, weil sie nackt und unbeholfen dastehen, als warteten die bäume schon sehnsüchtig auf den ersten schnee. der würde sie dann glitzernd machen und verzaubern, wenigstens für die ersten sonnenstrahlen eines morgens und für mich.
wahrscheinlich aber warten sie nur halb so sehnsüchtig wie ich, und noch wahrscheinlicher warten sie gar nicht, weil, ja weil sie eben einfach bäume sind. die stehen nunmal nur da, atmen ein wenig und fangen manchmal drachen vom himmel.
während der mensch dazu neigt, ewig an etwas herumzuzerren, bis es kaputt gespielt ist [sic!] und dem dann in unverhältnismäßigem wahnsinn hinterherzutrauern [sic!], entschließt sich so ein baum, einfach die kleider fallen zu lassen, wenn die umstände es anders nicht erlauben. in dem fall heißt umstände dann “lass los oder stirb”. und das, was den menschen dann mit dem gold-rot-braunen rascheln in sein verklärtes romantisches gefühl treibt, ist nicht etwa ein letztes liebes wort zum abschied, ein letzter gemeinsamer abend in fell vor dem kamin: nein, hier wird aktiv gestorben. das nennen sie dann abszission und fertig ist der beweis, dass natur und romantik zusammen nur funktionieren, solange ein mensch dazwischen funkt und sich diese gedanken macht. deshalb verliebt man sich in sie. also, in die menschen.
tatsächlich habe ich noch nie einen baum heulen sehen und wahrscheinlich würde es mich auch ziemlich verstören, würde es an der tür klingeln und er würde da stehen und seine kühlen, blattlosen ärmchen um mich schlingen und mit tränenerdrückter stimme fragen, ob ich nicht vielleicht kirsch-eis da hätte. und natürlich hätte ich kein kirsch-eis da, sondern nur maracuja und die tragik nähme ihren lauf.
nein, so ein baum weint eben nicht, so wenig wie er auf den ersten schnee wartet oder auf den nächsten frühling. er ist einfach nur ein baum. er steht da, atmet ein wenig und fängt manchmal unsere herzen vom himmel.