Politisch motivierte Unterhaltung
Ein Nachwort zur ‘hart aber fair’-Sendung am 30.09.2013
Ich weiß nicht, ob Du den Sachverhalt verfolgst, ob er Dir zu banal ist oder einfach uninteressant, weil politisch motiviertes Machtgeplänkel zur Demonstration des total ‘offenen’ Diskurses in einem natürlich (!) absolut freien Sprachrohr.
Ich fasse den Handlungsstrang also kurz zusammen:
In einer Sendung des ÖRR trafen sich unsere Politgenies Norbert Röttgen (CDU), Sahra Wagenknecht (DIE LINKE), Frank Lehmann, Bernd Lucke (AfD) und Ralf Stegner (SPD) zum munter einstudierten Schlagabtausch unter dem klasse Titel: “Steuern, Schulden, Eurorettung – werden wir jetzt abkassiert?” (Zum Podcast.)
Falls jemanden die Antwort interessiert: ja, werden wir. Aber dafür hätte man keine Diskussion initiieren müssen um dem Bürger einen möglichen variablen Ausgang zu suggerieren. Das hätte dann natürlich nichts mit dem Unterhaltungswert von Politsoaps zu tun – doch das nur am Rande.
Tatsächlich interessant wurde es erst, als das Schäfchen des ÖRR der Moderator Herr Plasberg in der guten alten Journalistenschule grabbelte, um dem Teilnehmer auf den Zahn zu fühlen, bei dem es versprach am spannendsten zu werden:
Er wies den Mitbegründer der AfD auf seinen womöglich rechtspolitisch motivierten Wortschatz hin, mit welchem er in seinen Reden unserer Demokratie eine Entartung ihrerselbst beipflichtet.
Da schlagen die Alarmglocken der Einfältigkeit fraglos Sturm. Und der rechts verlängerte Arm unserer Parteienlandschaft konnte kaum mehr, als sich auf Vergleiche mit anderen Wissenschaften berufen, die den Begriff in einem völlig anderen Kontext verwenden. Ja bravo, noch jemand Popcorn?
Ich weiß kaum, wo ich zuerst anfangen soll, denn wohin ich auch schaue – das dargebotene Schauspiel war aus jedem Blickwinkel einfach nur schwach.
Der Professor und die Reflektion
Da haben wir zunächst einmal den Professor der Volkswirtschaftslehre, Herrn Lucke. Man mag von seinem politischen Kurs halten, was man will – aber in dem Moment, in dem er sich mit einem Parteiprogramm zur Wahl stellt und Politik machen will, hebt er sich selbst in einen Bereich der Verantwortung, der zur Reflektion zwingen muss. Ein Mensch, der den Kurs Deutschlands mitbestimmen will – als selbsternannte Alternative – muss sich der Identifikation mit dem Land bewusst sein. Dazu zählt auch seine Geschichte und die Teile davon, in denen wir (unsere Vorgenerationen) als Kollektiv verdammt nochmal Scheiße gebaut haben.
Natürlich ist das Wort der Entartung nicht zur Zeit des Nationalsozialismus entstanden, aber hier wurde es für rassistisch-populistische Zwecke missbraucht. In einer Zeit (oh diese Floskel..), in der in anderen Ländern mit nationalsozialistischer Symbolik gegen unsere Regierung Stimmung gemacht wird, ist das ein denkbar falsches Zeichen.
Eine Partei / ein Parteimitglied, die/das sich dessen nicht bewusst ist oder bewusst sein will, spricht sich selbst seine Wählbarkeit ab. Da man einem lehrenden Professor soviel kognitives Vermögen durchaus unterstellen können sollte, liegt der Verdacht einer gezielten Mobilmachung nunmal nicht fern.
Der Unterhalter und die Profession
Dass dieser Sachverhalt ein gefundenes Fressen für eine Pseudo-Diskussionsrunde zur besten Unterhaltungszeit im deutschen Fernsehen ist, machen wir uns mal nichts vor, dürfte ebenso wenig überraschend wie klar sein. Diese Sendung ist überhaupt nicht zum demokratisch dialogischen Lösungsfindungsprozess konzipiert. Es ist vielmehr ein darstellendes Spiel der Partei- und der Selbstprofilierung aller Beteiligten unter dem Vorwand einer politisch motivierten Diskussion im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Wer sich also verwundbar zeigt, wird angegriffen und im Sinne einer inszenierten Spannungskurve ausgenommen wie ein Festtagsbraten. Das spricht sicher nicht für Qualität, aber.. ähm? ;-)
Die gestillte Audienz
Und dann zu uns, der Schaar, der Reaktion, die da sitzt, den Kopf schüttelt, aufschreit und wild alle Nazi-Schubladen öffnet, die gerade so einfallen, weil da einer ein vergangenheitsträchtiges Wort gesagt hat.
Sind wir denn wirklich so engstirnig, dass wir glauben, das alles sei so einfach? Der einzige Grund, der uns dazu verführt, ist die lähmende Angst vor dem, was war. Wir sind doch glücklich, wenn jemand so offensiv vorgeht und uns Griffstücke zeigt, mit denen wir ihn am Kragen packen und eintüten können. Wenn wir uns dann wie die Geier auf ihn gestürzt haben, sind wir besänftigt in der oberflächlichen Bekämpfung unserer obstruktiven Angst und können uns als Rächer des guten Geschmacks wieder entspannt auf dem Sofa zurücklehnen. Das ist toll, ehrlich.
Zu gerne aber vergessen wir dabei: Die wahre Gefahr geht nie von der Offensichtlichkeit aus. Sie bleibt versteckt in der nebulösen Unwissenheit des Du und ich.