Wenn der Tag die Nacht besiegt
Am Morgen ist diese Stadt einzigartig. Eingedeckt im blau- und rotblassen Aufwachen liegt sie da und wird von einer schonungslosen Unschuld überzogen. Nur leichte Bedenken von Schleierwolken umkreisen die junge Sonne und einige Krähen sitzen mit mir oben auf den Dächern und geben ihre Stimme in den Tag hinein.
Es ist zu fühlen, wie der Tau an den alten Blüten bricht; sie umwirbt und an ihnen hinabfällt. Es ist zu spüren, wie leichte Nebelschleier über dem Waldboden zum Erliegen kommen und ihren kurzen Moment genießen, als sei er unendlich.
Darüber färben sich die ersten Blätter in den Baumkronen gelblich güldenrot und voller Sehnsucht in den Herbst hinein, als seien sie nur dafür gemacht. Langsam erheben sich auch die goldenen Lichtwellen und fluten die Körper und Stimmen der rufenden Krähen, die Schönheit der Blüten, die Andacht der Baumkronen und dringen vor zum feucht-jungen Moos, das die Erde bedeckt.
Es ist ganz windstill, denn es gibt keinen Grund für die tosenden Luftmassen, die die drolligen Menschenköpfe durchwirbeln und ihre dunklen Gedanken wegschieben; denn es gibt sie nicht, zumindest noch nicht. Eingehöhlt in ihren Menschen, eingehöhlt in einem dicken Geflecht aus Decken und Kissen und Träumen der vergangenen Nacht schlafen sie ja alle noch und tanken Kraft für ihren neuen Krieg der Selbstbehauptung auf den Straßen, in den Supermärkten, den Galerien und Museen, den Cafés, in den Familien und auf den Sportplätzen.
Natürlich bin da auch noch ich, und auch Mensch und auch ich habe meine zwiträchtigen Gedanken, die kämpferisch sind; voll Eifer und egoistischer Liebe.
Es ist nur: wenn du die vollkommende Schönheit zulässt, die dir die Natur an einem solchen Morgen diktiert als sei es eine ihrer leichtesten Übungen; wenn du sie erkennst und annimmst: »Na, wer bist du da schon?«