einszueins II
»Du bist eben, siehst Du, ein ganzer, zielbewusster Mensch«, erwiderte Stepan Arkadjewitsch. »Das ist dein Vorzug und dein Mangel. Du bist selbst ein ganzer Charakter und verlangst, daß das ganze Leben aus lauter ganzen, klaren Erscheinungen bestehen soll, das ist aber in Wirklichkeit nicht der Fall. Du verachtest die öffentliche dienstliche Tätigkeit, weil du verlangst, daß jede Handlung stets dem gesteckten Ziel entsprechen soll, das ist jedoch unmöglich. Du verlangst auch, daß die Tätigkeit des einzelnen Menschen stets ein Ziel haben soll, daß Liebe und Familienleben immer eins sein sollen – das gibt es einfach nicht. Alle Mannigfaltigkeit, aller Reiz, alle Schönheit des Lebens setzt sich aus Schatten und Licht zusammen.«
in: Tolstoj, Anna Karenina
vom 8. September 2013
geteilt: im wort |
was willst du mir eigentlich erzählen?
dein herz ein labyrinth, ein bollwerk aus falltüren und sprengfallen, aus engen und tiefen, aus mauern, dornen und dahinter?: soviel samtene sinfonie, dass du augenblicklich zu versinken glaubst.
was möchtest du mir über die liebe erzählen, wenn es doch keine worte gibt sie zu beschreiben, sie zu erklären? wenn wir sie nur leben können für diesen moment, und begreifen und fühlen, dass wir glücklich sind.
was möchtest du mir über die liebe erzählen, wenn du mir die zeit als heilsbringer vorschlägst und die tausend anderen, die da warten und noch immer lieber an ihr kleines glück glauben möchten statt es einfach zu leben?
was möchtest du mir über die liebe erzählen, wenn deine hoffnung sich einzig auf die ungelösten fragen deines scheiterns stützt und nicht auf die träume, die einst aus dir schienen wie das meer an lichtern über uns in diesen zarten sommernächten?
was möchtest du mir über die liebe erzählen, wenn du all deine kraft dazu aufbringst deine sternenkrieger fachgerecht zu positionieren, auf dass sie sich auf mich stürzen, wenn ich mich nur einen schritt zu nahe wage?
sag, was willst du mir eigentlich erzählen?
vom 17. August 2013
geteilt: im wort |
drum ahne mich
aus salz geformt sitzen die kleinen kristallspielbälle auf unseren lippen und ergänzen jedes wort um diese spur schwere. diese note zärtlicher tiefe, in der es nicht mehr darum geht was du sagst, sondern was dein inneres ersehnt.
du kannst sie nicht sehen, diese spuren und noten, das salz auf meinen lippen. du kannst es nie sehen, du kannst es nur erahnen und erküssen. und dann, im später vielleicht, wenn wir einmal mehr sind als die verträumte vorfreude in den kleinen knospen des frühlings, wirst du es nie wieder missen mögen.
drum ahne mich, herz, und küsse mich.
ein mehr könnte schöner nicht sein.
vom 12. Mai 2013
geteilt: im wort |
kein gedanke · mitgehen
einszueins I
Lies doch noch einmal ihre letzten Bücher, was findest du darin, dargeboten in einem Stil, der an billiges Buntglas denken läßt? Bloße Anekdoten, aus Zeitungen herausgeschnittene vermischte Nachrichten, nichts als müde Erzählungen und wurmstichige Geschichten, und nirgendwo auch nur ein Stützbalken einer Vorstellung vom Leben, von der Seele, der dem Ganzen Halt gäbe! Allmählich ist es so weit gekommen, daß ich mich, nachdem ich diese voluminösen Werke ausgelesen habe, an die geschwätzigen Beschreibungen und die endlosen, langweiligen Belehrungen, die sie enthalten, nicht einmal mehr erinnere; da bleibt mir nur noch die Überraschung angesichts der Tatsache, daß ein Mensch drei- bis vierhundert Seiten vollschreiben konnte, obgleich er uns nicht das geringste zu offenbaren, nicht das geringste zu sagen hatte.
Des Hermies über den Naturalismus, in: Huysmans, Tief unten
vom 20. April 2013
geteilt: im wort |
kein gedanke · mitgehen
hier lebt unser sinn
manchmal verirrt sich ein gefühl in die kahlen baumspitzen des schon so lange währenden jetzt. es klopft gegen die scheiben im ersten stock, aber niemand macht auf. wie eine raupe kämpft es sich dann die spröden narben auf dem alten kork der noch älteren eiche entlang. ‘wie eine raupe’, wiederhole ich für mich lächelnd und spanne die arme auf.
während sich über mir das wohl erste helle blau des jahres wie eine leichte decke legt, liege ich auf dem dach in meinem leben und betrachte die kleinen spielzeuggroßen flugzeuge wie sie unbesorgt über den himmel schwirren und ihre streifen ziehen. die warmen sonnenstrahlen kitzeln unter der haut und lebensfroh tänzeln sich die kleinen kohlmeisen auf den regenrinnen in mein herz hinein.
ich möchte dir sagen: hier. nimm meine hand. worauf warten?, wir sind doch jetzt. und hier, wo deine finger nun zwischen meinen träumen, hier erschafft sich ein raum, erhebt sich unsere kreation, hier lebt unser sinn. hier rollen wir uns ineinander, wenn die erwachsenenwelt da draußen zu grell wird, zu kalt, zu zehrend.
aber was wäre das mehr als der eindruck einer unbeholfenen romantik, irgendwo im abseits dieser welt? und, warum genau wäre das schlimm?
vom 24. März 2013
geteilt: im wort |
kein gedanke · mitgehen
der hafen
manchmal wünschte ich, meine worte könnten dir ein bild malen.
erst ganz wüst mit einem bleistift oder einem stück kohle angedeutet, schemenhaft und fast ungreifbar, würde es dich schicht für schicht verführen, mit immer mehr details, immer mehr zuneigung, immer mehr formen, spitzen, tiefen. immer mehr struktur und immer andere.
mit einem spachtel voll rötlichgelb den kühlen himmel erkannt, spontan in den vordergrund versunken und in dich. noch etwas feucht würde immer wieder ein stück vom untergrund mitgerissen in eine neue schicht, in eine neue bedeutung. für eine nuance, die am ende vielleicht nur du sehen wirst, weil sie doch nur für dich gemacht ist. vielleicht ist das liebe.
ich wollte, du würdest dich nach und nach in diesem bild verlieren, nicht weil es sonderlich schön ist, also eine art mainstream-produkt, das sich jeder gern über die couch hängt um es dann nie wieder anzuschauen; sondern weil du die schönheit erkennst. weil es dich nicht erfüllt, einfach nur zu schauen, sondern weil du berühren willst, um all die schichten, die details, formen und tiefen zu erfassen.
mit jeder berührung, mit jedem entlanggleiten an den furchen, den kleinen gräben, tälern und bergen würdest du dann ein stück von dir lassen, von dir und deinem tag und deiner nacht. im winter würden deine schmalen hände vielleicht rau sein, abgekämpft vom tagsoll und spröde von den temperaturen. im frühling sähen dein schwung und deine zärtlichkeit bestimmt anders aus.
und doch würdest du mit jeder berührung eine kleine facette von dir zeichnen, von dir und deinem gefühl. schicht für schicht mit unsichtbaren worten der sehnsucht beschrieben, stünde es da und wäre der heimliche beweis unserer sinnlichen fusion.
das bild, es würde heute wohl einen fischerhafen mit alten holzkuttern zeigen, die ruhig auf den wellen wiegen. eingetaucht in den goldenen kuss des horizontes vermag es die gleiche frage stellen, die vermutlich allen hafenbildern dergestalt anhaftet:
sind wir zurück, oder fahren wir jetzt los?
vom 12. Januar 2013
geteilt: im wort |
2 gedanken · mitgehen
tausend sterne für zwei sekunden
ich stehe da vor dem gewitter, das so schaurig bunt den himmel erleuchtet und erwarte deine hand auf meinem becken und deinen körper hinter meinem, mich zu stützen, dass ich rückwegs nicht einfach umfalle vor diesem grellen kompositum an farben und licht, das so gar nicht in unsere nacht passt. ich freue mich auf den hauch deines atems an meinem hals, der seine wellen über und unter das schlüsselbein schlägt und dort eindringt und mein herz aufpumpt bis zur ewigkeit.
das grollen wird bedrohlicher und das pfeifen, die lichter multiplizieren sich, die farbgirlanden und glitzerglitterbögen, die tausend sterne für zwei sekunden; – und mit ihnen der grau-weiß-blaue schleier der künstlichkeit, der alles einhüllt und das klar der luft belegt.
ich stehe jetzt da in dem gewitter, das so nah ist, dass es auch direkt aus mir kommen könnte; jedes haar als zündschnur eines gedankens, der sich kurz im bunt entfaltet und dann für immer verglüht.
für immer, das hatten wir auch gesagt;
und dennoch bleibt der hauch jetzt aus.
vom 1. Januar 2013
geteilt: im wort |
kein gedanke · mitgehen